Das Dorian-Gray-Syndrom
als »ethnische Störung« der Spätmoderne
Sebastian Euler, Elmar Brähler & Burkhard Brosig
»Wie traurig das ist. Ich soll alt werden, hässlich und abstoßend.«
Kein Tag vergeht, an dem in Zeitungen, Fernsehsendungen und auf Internetseiten nicht über Lifestyle-Medikamente, »Anti-Aging«-Produkte und kosmetische Chirurgie berichtet wird.
Der Jugend- und Schönheitskult scheint andere gesellschaftliche Werte zunehmend abzulösen. Psychologen, Soziologen und Ökonomen beschäftigen sich aus fachspezifisch unterschiedlichen Perspektiven mit der Frage, was hinter dieser Entwicklung steht. Warum scheinen Schönheit und Jugendlichkeit plötzlich so viel wichtiger zu sein als die ehemals so geschätzte »Weisheit« und »Erfahrenheit « der älteren und reiferen Generation?
In diesem Kontext soll insbesondere ein neues psychodynamisches Konzept näher betrachtet werden: Das Dorian Gray Syndrom (DGS). Darunter wird ein immer häufiger anzutreffender Symptomenkomplex verstanden, der die Unfähigkeit, in einem psychologischen Sinne zu reifen, verbindet mit der daraus abgeleiteten Überzeugung, nicht jugendlich-schön genug zu sein, mit der Folge der Utilisation von medizinischen Lifestyle-Angeboten. Die eigene körperliche Attraktivität steht im Vordergrund der Betrachtung des Selbst, wobei insbesondere die äußeren Anzeichen des Älterwerdens Leidensdruck erzeugen und zu Scham und sozialem Rückzug führen können. Der größte Wunsch besteht - in Anlehnung an die Romanfigur des Dorian Gray bei Oscar Wilde - darin, den Prozess des Älterwerdens aufzuhalten, wobei häufig auf die oben erwähnten »künstlichen« Maßnahmen zurückgegriffen wird.
Dabei wird die körperliche Reifung stellvertretend für den inneren Reifungsprozess abgelehnt. Der vorliegende Beitrag nähert sich dem Konzept des DGS über die Beleuchtung verschiedener damit assoziierter Aspekte. Zunächst wird der Versuch unternommen, die gesellschaftliche Bedeutung von Schönheit und Jugend phänomenologisch einzuordnen. Daran anschließend findet sich eine Diskussion der Motive für schönheitschirurgische Eingriffe sowie eine Auflistung der aktuell verfügbaren »Lifestyle-Medikamente«. Die psychodynamische Sichtweise von Zeiterleben und Tod wird dargestellt und zur »Midlife-Crisis« (Jaques 1965) sowie dem »Zeitalter des Narzissmus« (Lasch 1982) in Beziehung gesetzt. Schließlich wird das Konzept des DGS skizziert.
Die klinische Relevanz in Abgrenzung zu verwandten psychopathologischen Erscheinungsbildern und therapeutische Möglichkeiten werden dargelegt. Im Resumée wird unter anderem auf die Interpretation des DGS als »ethnische Störung« unserer Kultur im Sinne von Devereux (1970) eingegangen.
Das Phänomen Schönheit
»Schönheit ist leichter zu erkennen, als zu definieren. « Alam & Dover 2001
Die Sehnsucht nach Schönheit an sich stellt kein neues gesellschaftliches Phänomen dar, war Schönheit doch schon bei Plato neben Gesundheit und Reichtum »einer von 3 Wünschen eines jeden Mannes« (nach Alam & Dover 2001). Gesundheit und Reichtum scheinen dabei sehr viel konkreter fassbar, als dies bei Schönheit der Fall ist. Alltagspsychologisch wäre dennoch leicht ein Konsens darüber zu finden, was Menschen subjektiv als schön empfinden. Was aber steht konzeptuell hinter dem Konstrukt »Schönheit«?
Das Konzept der Schönheit bezieht sich heute nicht mehr ausschließlich auf Symmetrie und Proportionen. Die Vorstellung, ein schöner Partner garantiere durch die Verkörperung von Gesundheit und Reproduktionsfähigkeit das Überleben der eigenen Gene in vielen und gesunden Nachkommen, wird gewissermaßen als evolutionsbiologische Erklärung dieses Phänomens wiederum auch heute noch herangezogen (Alam & Dover 2001). Für dieses Erklärungsmodell oder zumindest gegen die These, Schönheit sei nur ein Konstrukt der jeweils herrschenden kulturellen Normen, spricht auch, dass Schönheit zumindest partiell ein zeit- und kulturübergreifendes Phänomen ist. Zwar bestehen kulturell unterschiedliche Schönheitsideale, doch gibt es offenbar übereinstimmend charakteristische Merkmale, die als schön gelten: Frauen sind schön mit einer kleinen Nase und vollen Lippen sowie einem Verhältnis von Taillen- zu Hüft-Umfang von 0,7; schöne Männer haben ein markantes Kinn und einen Vförmigen Oberkörper (Alam & Dover 2001).
Das biologisch-evolutionäre Modell kann den Wandel des Phänomens Schönheit jedoch nicht erklären. So galten Anfang des Jahrhunderts wohlgerundete, üppige Körperformen noch als Schönheitsideal, heute sind Models als dessen Verkörperung nicht mehr nur dünn, sondern mit einem BMI unter 18 sogar häufig untergewichtig. Auch was mit Schönheit assoziiert wird, geht im Rahmen von gesellschaftlichen Entwicklungen über die vermeintliche »Garantie« vieler gesunder Kinder hinaus. Nach Alam und Dover (2001) steht aktuell in der »westlichen Gesellschaft« die assoziative Verbindung zwischen Schönheit und sozioökonomischem Erfolg im Vordergrund. Ist das die der modernen Kultur angepasste »Version« von Schönheit als Merkmal eines für das Überleben der Spezies geeigneten Partners? Wer »bestimmt« nun das Schönheitsideal?
Nach Fischer (2001) setzt sich das persönliche Schönheitsideal »kaleidoskopartig zusammen (...) aus Bekannten und Freundinnen (...) und aus vermittelten medialen Bildern von Schauspielerinnen, Models, Sängerinnen und anderen Prominenten«.
Die Bedeutung dieser medialen Vermittlung des »Ideals«, vor allen Dingen durch die »visual media«, ist am besten untersucht in Bezug auf Essstörungen. Dabei zeigt sich, dass bereits nicht-essgestörte Frauen, die mit 20 Bildern von ideal-schlanken Models konfrontiert werden, ärgerlich und depressiv reagieren (Pinhas et al. 1999). In gängigen Frauenzeitschriften werden Frauen wiederum ständig mit ebensolchen Bildern konfrontiert. Groesz et al. (2002) fanden in einer Metaanalyse von 25 Studien zu dieser Thematik heraus, dass Frauen nach der Konfrontation mit Bildern von schlanken Models eine signifikante Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper zeigten, was nicht der Fall war bei der Betrachtung von Bildern normalgewichtiger und übergewichtiger Frauen oder nicht-lebendiger Motive wie Autos oder Häuser: »Massenmedien wie Modezeitschriften und Fernsehen fördern einen Standard schlanker Schönheit, wenn sie ihn nicht sogar etablieren«.
In diesem Zusammenhang ist auch die Beobachtung von Rand und Wright (2000) interessant, dass von Modeindustrie und Medien ein Ideal ausgesucht und dargestellt wird, dass die meisten Menschen als »zu dünn« und damit eben gerade nicht als ideal beurteilen. Diese Erkenntnisse über das Schlankheitsideal aus der Erforschung von Essstörungen scheinen grundsätzlich übertragbar auf das kulturell vermittelte Schönheitsideal. So ist beispielsweise die Größe der weiblichen Brust als häufigstes Objekt von artifiziellen »Verschönerungen« gut in das charakterisierte Bild integrierbar. Schönheitschirurgie ist, ähnlich wie forcierte Diäten bis hin zu Essstörungen, ein »body project«, um die Diskrepanz zwischen dem aktuellen und dem persönlich idealen Körperbild zu reduzieren (Groesz et al. 2002). Vor diesem Hintergrund lässt sich auch die Veränderung des Schönheitsideals in Japan mit dessen Aufstieg zu einer »westlichen Industrienation« in diesem Jahrhundert erklären. Das traditionelle asiatische Schönheitsideal verkörperte mit schmalen Augen und gerader Nase (»straight eyes and nose«), schmalen Augenlidern und fliehendem Kinn die buddhistische Idee von Harmonie und Universalität. Mit dem Einfluss westlich orientierter Kultur wurde dieses Muster abgelöst durch ein Ideal, das sich an das kaukasische Antlitz adaptierte. Schönheitschirurgie ist seitdem besonders populär bei jungen japanischen Frauen (Nakamura et al. 2000). Im Grunde geht es immer um die Diskrepanz zwischen dem medial dargestellten, seriell ständig reproduzierten Ideal und den Realitäten des eigenen Körpers, was letztlich das Gefühl verursacht, irgendetwas sei eben nicht »idealnormal«. Auf dieser Basis entstehen »body dissatisfaction«, die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und »body-image-distorsion«, eine verzerrte Wahrnehmung des eigenen Körpers oder eines Körperteils.
Welche Eigenschaften werden mit schönen Menschen assoziiert?
Der Besitz von oder Mangel an Tugenden wird mit Merkmalen der äußeren Erscheinung in Verbindung gebracht (Gilman 1998). Nach Schüle (2002) ist Schönheit ein »Ausdruck von Reinheit, Gesundheit und Vergnügen« und wird mit »Stärke, gesellschaftlicher Macht und Intelligenz gleichgesetzt«. Als Charakteristika schöner Menschen gelten Geisteschärfe, zwischenmenschliche Fähigkeiten (»interpersonal skills«), Leistungsfähigkeit und Moral. Schönen Menschen werden ein besseres Leben, glücklichere Ehen und lukrativere Jobs zugeschrieben. Dabei sind die Schönen nach allgemeiner Einschätzung freundlicher, anständiger und aufrichtiger, allerdings auch scheidungsanfälliger, weniger vertrauenswürdig als Partner und als Eltern weniger kompetent (Alam & Dover 2001). Nach Gieler (1993) werden attraktive Menschen als glücklicher, empfindsamer, warmherziger, ausgeglichener und geselliger erlebt und haben einen besseren Ruf als weniger gut aussehende Vergleichspersonen: Physische Attraktivität ist gleichbedeutend mit sozialer und charakterlicher Attraktivität. Doch Vorsicht! Zu schön zu sein birgt die Gefahr, dass einem außer der alles überdeckenden körperlichen Attraktivität keine anderen Qualitäten mehr zugeschrieben werden (Alam & Dover 2001). Gesellschaftlich werden diese Assoziationen reflektiert durch eine bevorzugte Behandlung von schönen Menschen, etwa durch Fremde in einer gesundheitlichen Notsituation in der Öffentlichkeit (vgl. hierzu Alam & Dover 2001). Inwieweit die den Schönen zugeschriebenen Attribute zutreffen, bleibt natürlich offen. Jedenfalls gibt es Hinweise dafür, dass schöne Menschen, im Widerspruch zu dem, was ihnen von der Gesellschaft zugeschrieben wird, gar nicht glücklicher sind (Myers & Diener 1995). Warum man einen Menschen schön findet, scheint also ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren zu sein. Es ist in uns »angelegt«, den im evolutionsbiologischen Sinne richtigen Partner zu finden. Der soll gesund, reproduktionsfähig und heutzutage auch beruflich erfolgreich aussehen. Medial inszeniert und vermarktet entwickelt sich daraus ein immer wieder neu definiertes soziales Konstrukt der »Schönheit«.
Der Jugend(lichkeits)kult
Schon 1546 stellt Lucas Cranach der Ältere in seinem Gemälde »Der Jungbrunnen« die Sehnsucht des Menschen nach Unsterblichkeit und ewiger Jugend dar. Greisinnen steigen auf der linken Seite in den Jungbrunnen, als junge Frauen, die von Männern erwartet werden, um sich den schönen Dingen des Lebens widmen zu können, kommen sie auf der rechten Seite wieder heraus. Heute hat Jugendlichkeit, ähnlich wie Schönheit, einen hohen gesellschaftlichen Wert. Dabei sind beide Phänomene sehr eng miteinander verknüpft, scheinen zuweilen sogar nahezu identisch zu sein. »Die Gesellschaft wertet die Erfahrung ab und legt den Hauptwert auf körperliche Stärke, Gewandtheit, Anpassungsfähigkeit und die Gabe, mit neuen Ideen Schritt zu halten« (Lasch 1999).
Studien zeigen auf, wie sehr diese Idealisierung der Jugendlichkeit von kulturellen Umständen abhängig ist. Der »cult of youth« wird der Wertschätzung von Reife in früheren Zivilisationen gegenübergestellt. Wie eine Gesellschaft dem Alter gegenübersteht, wirkt sich aus auf das individuelle Erleben des Alterungsprozesses sowie auf das persönliche und gesamtgesellschaftliche Streben nach Jugendlichkeit (vgl. hierzu Westerhof et al. 2003 und Volynskaya 2000).
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Kosmetische Chirurgie und
Lifestyle-Arzneimittel
»
Faire en deux heures ce que les psychiatres ont du mal à faire en cinq ans«
Millet & Laxenaire 1993
Die Motive Schönheit ist ein Geschenk für einzelne, das der Gesellschaft insgesamt zugute kommt, behauptet Scarry (1999) und plädiert gegen Missgunst bezüglich der Schönen. Alam und Dover (2001) wiederum zweifeln an, dass weniger schöne Menschen sich damit zufrieden geben, an Schönheit als gesellschaftlichem Merkmal in Kunst und Kultur zu partizipieren und auf die eigene Schönheit zu verzichten. Ihre Einschätzung wird unterstützt von Zahlen aus der kosmetischen Medizin. So steigerte sich die Zahl der Brustvergrößerungen zwischen 1992 und 1997 um 275, die der Behandlung des altersbedingten Haarausfalls von Männern (androgene Alopezie) um 107 Prozent (Krieger 1999). Die Schönheitschirurgen hatten in den USA 1998 fast 3 Millionen (Covino 2000), in Deutschland 1999 etwa 500.000 »Kunden« (Schüle 2002).
Der Beginn der modernen Schönheitschirurgie und die Geburt des Begriffs »Plastische Chirurgie« ist zurückzuführen auf die 30er Jahre des 19. Jahrhunderts, in denen insbesondere »Sattelnnasen« infolge einer konnatalen Syphilis operativ korrigiert wurden, wegen der »unmoralischen und unsauberen Konnotationen«, mit dem Effekt, dass sich »Selbstvertrauen und Selbstwert« verbesserten (Cole 1999).
Auch aus der Zeit vor 1830 gibt es bereits »einzelne Berichte von Operationen - Nasenplastiken, Hauttransplantationen, Naht von Gaumenspalten und Operationen von Schiefhals durch Muskeltrennung« (Tröhler 1999).
Über die Motive dazu gab es offenbar bereits damals Auseinandersetzungen. So galt »reine Koketterie und Männerjagd« nicht als »sittlicher Zweck« (Moll 1902, zitiert nach Tröhler 1999). Mit welcher psychologischen Motivation Menschen sich immer häufiger für die Umgestaltung des eigenen Körpers entscheiden, ist heute mehr denn je Gegenstand der Diskussion.
»In der geltungssüchtigen Spätmoderne (...) ist die Ästhetisierung der Lebenswelt mit der manchmal wahnhaften Verklärung makelloser Körperlichkeit und nie endender Jugend ein das Alltagsleben maßgeblich dominierendes Lebenskonzept (...) in geistig obdachlosen Zeiten« (Schüle 2002)
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Fischer (2001) beschreibt »das Bewusstsein von Mangel« als Voraussetzung für das Bedürfnis nach kosmetischen Maßnahmen. Für diesen »Mangelzustand« wird im angloamerikanischen Raum der oben bereits erwähnte Begriff »body dissatisfaction« verwendet.
Nach Millet & Laxenaire (1994) gibt es vier Gründe für die Vorstellung beim Schönheitschirurgen: -
»der Wunsch, einen Körperteil zu verändern (...), der verantwortlich ist für ein oft tiefgreifendes psychische Unbehagen - der Wunsch, jemand anderem, aber auch sich selbst, zu gefallen - (...) der Wunsch nach Veränderung im Rahmen einer Lebenskrise - schließlich, im Fall des ›Anti-Aging‹, die Verlockung, den Lauf der Zeit aufzuhalten, wenigstens für einige Jahre, möglicherweise, um diesen zu verleugnen«.
Ob die psychologischen Hintergründe der Klienten von Schönheitschirurgen krankheitswertig sind oder nicht, ist Gegenstand der Diskussion, seit es die Plastische Chirurgie gibt: Nach den ersten Operationen mit rein kosmetischer Indikation »wurde bald festgestellt, dass einige Kandidaten (...) psychiatrische Probleme hatten« (Cole 1999). Morcelli führte für die »abnormale Fixierung auf das körperliche Erscheinungsbild« 1891 den Begriff Dysmorphophobie ein (vgl. Cole 1999). Ist also derjenige krank, der den Schönheitschirurgen aufsucht oder die Gesellschaft, die ihn dazu treibt? Oder entspricht Schönheitschirurgie ganz einfach dem Zeitgeist und bedarf gar keiner Problematisierung? Wäre eine permissive, »marktorientierte« Haltung dazu also angemessen? Klienten von Schönheitschirurgen sind nicht als gesellschaftliche Gruppe kollektiv psychisch krank, jedoch besteht bei vielen ein Missverhältnis zwischen ihrem Wunsch nach Schönheit und der Selbsteinschätzung (Alam & Dover 2001). Objektiv betrachtet ist diese Divergenz meist gar nicht so groß. Es besteht eine »body-image-distorsion«, ähnlich der Körperschemastörung bei Essgestörten. Je wichtiger dieses an Idealen orientierte, »idolisierte« Selbstbild jedoch für das eigene Selbstbewusstsein ist, desto größer die »body dissatisfaction«. Kosmetische Maßnahmen wirken dann als »identitätsstabilisierende Faktoren« (Fischer 2001). Aus feministischer Perspektive wird für die Motivation von Frauen zur Schönheitschirurgie die Dominanz männlicher, repressiver Normen verantwortlich gemacht. Frauen gründen ihre Identität auf Schönheit und bleiben so von äußerer Anerkennung abhängig und richten die »Sensoren«, die ihr Selbstwertgefühl regeln, »immer hübsch nach außen« (Auszug aus: Naomi Wolf, Mythos Schönheit, Rowohlt 1990. In: Emma 01/2003). Frauen sehen sich selbst als »Objekt, das betrachtet und bewertet« wird (Groesz et al. 2002). In diesem Sinne sind »ihre Körper von Männern kolonisiert« (Wijsbek 2000 über die Darstellung von Morgan in ihrem Artikel »Women and the knife: cosmetic surgery and the colonization of womens bodies« 1991).
Davis (1999) vertritt wiederum den Standpunkt, dass Schönheitschirurgie »ein fester Bestandteil spätmoderner Kultur« ist und Frauen ermöglicht, »Anschluss an Normalität« zu finden und »ihre Identität (...) unter Bezugnahme auf ihren Körper (...) neu zu gestalten«. Es gelingt Frauen, »durch Schönheitschirurgie ein Leiden zu lindern, das über das erträgliche Maß hinausgeht«. Es geht Frauen nicht darum, schön zu sein, sondern normal. Sie nehmen ihr Leben in die Hand und haben eine »Teilfreiheit«. Die Autorin betont, dass es gesellschaftlichen Druck auf Frauen gibt, ihren Körper zu verändern und sie sich andere »Umstände« wünscht, in denen »Frauen mit ihrem Erscheinungsbild überhaupt keine Probleme hätten« (Wijsbek 2000 über die Darstellung von Davis in ihrem Buch »Reshaping the Female Body« 1995). Bradbury (1994) beantwortet die Frage nach den Motiven von Männern und Frauen, durch chirurgische Maßnahmen ihr Erscheinungsbild zu verändern, mit einer »Theorie des Stigmas«: Es geht darum, als »normal durchzugehen«, wenn Menschen »stigmatisiert sind und sich dadurch selbst stigmatisieren«. Beispiele für eine solche Stigmatisierung sind Frauen mit kleinen (»unfeminin oder kindlich«) oder großen Brüsten (lösen sexuelles Interesse und das Gefühl, zu dick zu sein, aus), diejenigen, deren Nasen aussehen, »als hätten sie gekämpft«, diejenigen, welche »sich ganz besonders hässlich fühlen«, Übergewichtige und Altwerdende. Problematisch ist sicherlich ihre Ableitung der gesellschaftlichen Stigmatisierung dieser »gewissen Personengruppen« von der Stigmatisierung »derer in Rollstühlen, ethnischer Minderheiten, des psychiatrischen Patienten und des Verunstalteten«.
Prävalenz von psychischen Erkrankungen bei Klienten von Schönheitschirurgen
In einer Veröffentlichung zur Prävalenz von psychischen Erkrankungen bei Klienten ästhetischer Chirurgen von Mowlavi et al. (2000) scheinen vor allem Schizophrenie (2-15%), körperdysmorphe Störung (7%) und Persönlichkeitsstörungen, dabei vor allem narzisstische (25%) und dependente (12%) Persönlichkeitsstörung, häufiger vorzukommen als in der Normalbevölkerung. Nach Meinung der Autoren sollten körperdysmorphe Störung (KDS) sowie Borderline- und paranoide Persönlichkeitsstörung als Kontraindikationen für kosmetisch- chirurgische Maßnahmen gelten. Die Kombination KDS und Schönheitschirurgie ist schon häufiger untersucht worden. Schon öfter ist es nach der Operation zu einer Verstärkung der psychischen Symptomatik von Patienten mit einer körperdysmorphen Störung gekommen (vgl. Bradbury 1994 und Stangier et al. 2000). Castelló et al. (1998) geben die Anzahl der Patienten mit KDS, die schon mindestens einmal eine Operation aus kosmetischen Gründen haben durchführen lassen, mit 30 Prozent an. Andere Autoren behaupten wiederum, dass die Klienten des ästhetischen Chirurgen nicht neurotischer sind als die Normalbevölkerung (vgl. Özgür et al. 1998). Ishigooka et al. (1998) erteilten in einer psychiatrischen Begutachtung von 130 Männern und 285 Frauen, die in japanischen Universitätskliniken zur kosmetisch-chirurgischen Behandlung vorstellig wurden, 65,4 % der Männer und 39, 6% der Frauen psychiatrische ICD-10-Diagnosen. Für Nakamura et al.(2000) ist heute der Mann der »Problemfall« der Schönheitschirurgie in Japan, da das Interesse unter Männern an solchen Maßnahmen immer größer wird und sich dem der Frauen angleicht. Solche Männer sind (auch in den USA) generell häufiger psychisch auffällig, was wiederum besonders die KDS betrifft. Zudem ist das Anliegen, sich aus kosmetischen Gründen operieren zu lassen, bei Männern gesellschaftlich weniger anerkannt, was die Beobachtung höherer Prävalenzen von psychischen Störungen bei Männern teilweise erklären könnte. Diese gesellschaftliche »Nichtachtung« des männlichen Bewusstseins für die eigene körperliche Attraktivität befindet sich jedoch ebenfalls im Wandel der Zeit. So wurde für erklärtermaßen nicht homosexuelle Männer, die ein ähnliches Körperbewusstsein entwickeln, wie es bisher überwiegend von Homosexuellen bekannt war, der Begriff »Metrosexuelle« bzw. »Metrosexualität« eingeführt (Simpson 1994, vgl. dazu z. B. http://de.wikipedia.org/wiki/Metrosexualität). Qualifizierte Plastische Chirurgen (in Deutschland vertreten durch die Vereinigung der Deutschen Plastischen Chirurgen [VDPC], deren Aufnahmekriterium in einer 8-jährigen Facharztausbildung besteht) sind sich jedenfalls weitestgehend einig darüber, dass »in der präoperativen Beratung jeder Fall individuell und vollständig evaluiert werden muss« (Özgür et al. 1998). Patienten, die eine psychiatrische Geschichte offenbaren, erfordern eine extensive Evaluation im Vorfeld des Eingriffs (Mowlavi et al. 2000). Dieses Interesse resultiert allein daraus, dass Klienten, die ein schwerwiegenderes, dem Wunsch nach Schönheitsoperationen zugrundeliegendes, psychiatrisches Problem haben, mit den Ergebnissen grundsätzlich unzufriedener sind und nach einer Operation häufiger Probleme bereiten (vgl. hierzu Bradbury 1994, Castelló et al. 1998, Millet & Laxenaire 1994, Mowlavi et al. 2000). Ursache hierfür ist unter anderem der »Mangel an Realismus bezüglich der Ziele«, so zum Beispiel bei Bulimie-Kranken, die beim Schönheitschirurgen vorstellig werden (Bradbury 1994). Millet und Laxenaire (1994) meinen, dass vom ersten Treffen an über Erfolg oder das Scheitern der Intervention entschieden wird: Es muss stets die Frage gestellt werden, »warum der Körper Symptom wird«. »Die Reparatur des Körpers erscheint wie der Versuch, die Frage der Identität zu lösen«. Wenn diese dahinterliegenden Konflikte aufgeklärt werden, »könnte die Intervention beitragen zur ›narzisstischen Wiederherstellung und zur Suche der Identität« oder, noch weitergehender: »Manchmal lässt sich so sogar die Phantasie nach einem neuen Leben realisieren«.
Psychotherapeutische Konzepte und Schönheitschirurgie (»Psychochirurgie«)
Neuerdings wird zunehmend die Kombination von ästhetisch-chirurgischer und psychiatrischpsychologischer Behandlung als Erfolgsrezept proklamiert (Castelló et al. 1998, Millet und Laxenaire 1994, Nakamura et al. 2000). So profitierten 82,8 Prozent von Klienten der ästhetischen Chirurgie, die sich mit psychischen Problemen vorgestellt hatten, von einer Operation, kombiniert mit psychologischer Betreuung (Edgerton et al. 1991).
Die Zusammenarbeit von Chirurgen und Psychiatern ist »der Schlüssel dazu, diesen Langleidenden zu helfen« (Nakamura et al. 2000). Brauchen wir also eine neue Ärztegeneration von »Psychochirurgen« (»psychosurgeon« nach Özgür et al. 1998) ?
Eine ganz andere »Art Psychochirurgie« wurde jedenfalls schon Anfang der 1870er Jahre proklamiert: Die »normale Ovarektomie«, d. h. die Entfernung eines normal großen Eierstockes zur Heilung psychischer Zustände, wie Angespanntheit, Neurasthenie, Hysterie, Manie, puerperale Manie, Kleptomanie, Epilepsie, Melancholie, Nymphomanie, (...) sogar Rückenbeschwerden« (Tröhler 1999). Ist diese Psychochirurgie nicht doch verwandter mit der heutigen kosmetischen Chirurgie, als man zunächst annimmt?
Interessant ist hierzu die Sichtweise Sander Gilman’s, der in seinem Buch »Creating Beauty to Cure the Soul« (1998) einen Bogen spannt zwischen Psychoanalyse und Schönheitschirurgie und dabei die Körperkosmetik als »Komplement zur Psychoanalyse« (Covino 2000) betrachtet. »Aus der Psychoanalyse ergab sich die Möglichkeit der Veränderung der vorher unveränderlichen Psyche und die Chirurgie ermöglichte die Modifizierung des vorher unveränderlichen körperlichen Erscheinungsbildes«, so Cole(1999) in einer Rezension dieses Buchs.
Die umgekehrte Beziehung der beiden besteht nach Gilman darin, «dass für den Psychoanalytiker psychisches ‘Elend’ auf den Körper überschrieben wird als physisches Symptom; für den Schönheitschirurgen ist das «Unglücklichsein» des Patienten das Resultat der physischen Natur seines Körpers«.
Die Beziehung zwischen Patient und Psychotherapeut einerseits und Patient und Schönheitschirurg andererseits sind durch die Phantasie der Wiedergeburt (»nouvelle naissance«) ähnlich gestaltet: »Der Patient überträgt seinen Wunsch nach Verwandlung auf den Chirurgen und meint damit nicht nur seinen Körper, sondern sein gesamtes Selbst« (Millet und Laxenaire 1994).
Oder anders formuliert: Sind innere Ideale in einem gewissen Alter nicht erreicht worden, so scheint eine schönheitschirurgische Transformation die Möglichkeit darzustellen, sich gewissermaßen über einen »Umweg« oder auf einem anderen »Schauplatz« doch noch ein ideales Ich zu kreieren. Damit wird die Kränkung durch die Verfehlung des internalisierten Ich-Ideals abgewehrt durch die Adaptation an ein extern vorgegebenes Körperideal. Letztendlich hat es die »Psychotherapie mit dem Skalpell« (Bullion 2003) sogar leichter als die Psychoanalyse, Zahlen vorzulegen, welche die Effektivität der chirurgischen Behandlung dieser »somatopsychischen Störungen« (Covino 2000) belegen.
Effektivität ist bekanntlich das Erreichen eines maximalen Ergebnisses mit einem minimalen Aufwand. Finden Patienten ihr Glück nach einer 2-stündigen Nasen-Operation und ist eine jahrelange psychotherapeutische Behandlung wegen aus dem »Nasenproblem« resultierender Depression, Zwangsstörung und sozialer Phobie demnach verzichtbar?
Nach Zweifler & Glasberg (2000) betrachteten 60 Prozent von 55 Patienten die Ergebnisse ganz unterschiedlicher Eingriffe als exzellent oder gut, bei Klassen et al. (1996) von 198 Patienten sogar 75 Prozent. Am zufriedensten sind Patientinnen mit Brustvergrößerungen, am wenigsten zufrieden mit Nasenoperationen (Rees 1997). Nichtsdestotrotz gaben 90 Prozent der Patienten nach einer operativen Nasenkorrektur an, ihre Rhinoplastik entspreche dem, was sie sich gewünscht hätten (vgl. Zweifler & Glasberg 2000).
Lifestyle-Medikamente
Die vermeintlich mildere Variante der »Selbstverschönerung« und »Selbstverjüngung« stellt die Einnahme von Lifestyle-Medikamenten dar. Lifestyle-Medikamente sind eine heterogene Gruppe von Arzneimitteln, vor allem »zur Behandlung der androgenetischen Alopezie, der Adipositas und der Erektilen Dysfunktion« (Schubert-Zsilavecz 2001).
Harth et al. (2003) schlagen dafür folgende Definition vor: »Lifestyle-Medikamente sind Pharmaka, die von gesunden Menschen zur Erlangung eines aktuell psychosozialen Schönheitsideals eingenommen werden und nicht der Stabilisierung körperlicher Vitalfunktionen von Kranken dienen.« Allerdings erscheint diese Definition als nicht suffizient, wird doch von der missbräuchlichen Einnahme von »Produkten für erektile/sexuelle Dysfunktion, Kontrazeption, Fertilität, zuviel Haar, zuwenig Haar, Falten, Gewichtsverlust, Mangel an Körpergröße, Aufhören mit dem Rauchen und Steigerung der Kognition« (Coons & Motheral 2000) gesprochen. Die Motive, Lifestyle-Medikamente einzunehmen oder anzuwenden gehen also über das Ziel der »Erlangung eines aktuell psychosozialen Schönheitsideals« hinaus.
Wir schlagen folgende Definition vor: Lifestyle-Medikamente sind Pharmaka, die mit dem Ziel eingenommen werden, ein psychosozial determiniertes Ideal zu erreichen, das den Anforderungen der modernen Gesellschaft an Vitalität, Funktionalität und Attraktivität entspricht, wobei kurative Auswirkungen auf die körperliche Vitalfunktionen als medizinische Indikation im engeren Sinne nicht im Vordergrund stehen, sondern deren Schädigung u. U. sogar in Kauf genommen wird. Im Folgenden findet sich ein Überblick über die wichtigsten »Indikationen« für Lifestyle- Medikamente und eine Zusammenstellung der Präparate, die dafür aktuell zur Verfügung stehen.
Die aufgeführten Arzneimittel werden zum Teil auch für »echte« medizinische Indikationen angewendet und sind nicht a priori als »Lifestyle- Medikamente« zu verstehen. Dabei können die Grenzen zwischen medizinischer und »nichtmedizinischer Indikation« fließend sein und müssen im Einzelfall beurteilt werden. Auf eine weitere Diskussion und Bewertung wird in diesem Rahmen verzichtet (vgl. dazu Klose et al. 2001, Harth et al. 2003 sowie Harth in diesem Band).
androgenetische Alopezie
- 2,4-Diaminopyrimidin - 17-Estradiollösung - Minoxidil-Lösung - Finasteridtabletten (Propecia®) -
Cosmetic Psychopharmacology (»happy pills«)
- Fluoxetin (in den USA Prozac®, in Deutschland Fluctin®), besonders erfolgreich in den USA
- Johanniskraut, besonders erfolgreich in Deutschland
Anti-Aging
- Dehydroepiandrosteron (DHEA)
- Melatonin
- Vitamin E -
Erektile Dysfunktion
- Apomorphin
- Sildenafil (Viagra®)
und andere Phosphodiesterasehemmer (Tadalafil, Vardenafil)
Anti-Adiposita
- Orlistat
- Sibutramin
- Hyperhidrose
- Botulinumtoxin (auch zur Hautstraffung)
Raucherentwöhnung
- Buproprion (Zyban®)
Da Lifestyle-Medikamente »vor allem auch in den Laienmedien und in der Boulevardpresse ein enormes Echo ausgelöst haben« (Schubert- Zsilavecz 2001), erfolgt »der Arzt-Patienten- Kontakt zwecks klarer Absicht einer definierten Wunschmedikation von Lifestyle-Medikamenten, welche von den Patienten durch Lesen und Vorlage entsprechender Fachinformationen eingefordert wird« (Harth et al. 2003, vgl. auch Harth & Linse 2001). »Nach der Einführung von Finasterid im Januar 1999 stellten sich mehr Patienten mit körperdysmorphen Störungen wegen vermeintlichem Haarausfall vor.« (Harth et al. 2003). Es gebe jedoch »bei der körperdysmorphen Störung keine Therapiegrundlage für den Einsatz von Lifestyle-Medikamenten« (Harth et al. 2003).
Die Bedeutung von Zeiterleben und Tod im Lebenszyklus
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Don’t erase my wrinkles (...) they took me so long to earn«
Alam & Dover 2001
Wahrnehmung von Zeit und »Midlife-Crisis«
Nach Colarusso (1999) wird in der Lebensphase zwischen zwanzig und dreißig das Gefühl des noch vor sich liegenden Lebens mit allen Möglichkeiten, getroffene Entscheidungen noch mal zu revidieren und unter Umständen sogar noch einmal ganz von vorne anzufangen, um ein internalisiertes Ich-Ideal zu »erreichen«, abgelöst durch die Suche nach einer stabilen, erwachsenen Struktur mit neuen Objektbeziehungen, die Mutter- und Vater-Imagines endgültig ablösen.
In der 3. Lebensdekade, wenn erstmals körperliche Zeichen des Alterns auftreten, entsteht dann langsam das Bewusstsein für die eigene Vergänglichkeit und die Grenzen der persönlichen Zeit, gekoppelt mit dem Verlust des Gefühls einer ewig andauernden Zukunft.
Jenseits der 40 verschärft sich dieses Bewusstsein für die eigene Vergänglichkeit und wird ergänzt durch die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tode. Diese schmerzhafte Erfahrung ist Quelle für Konflikte und Psychopathologie. Beispielsweise wird der Partner jetzt als Spiegel des eigenen Alterungsprozesses als so kränkend und unerträglich erlebt, dass dieser verlassen wird und man sich einem deutlich jüngeren Partner zuwendet (Colarusso 1999, populär geworden als ›Jennifer-Syndrom‹, vgl. auch die Formulierung von Roth 2003: »Das sterbende Tier«).
Ein besonderes Bewusstsein für diese Lebensphase besteht seit der Einführung des Begriffs »Midlife-Crisis« durch Jaques (1965). Darunter wird allgemein das psychosoziale Erleben der »mittleren Lebensphase« zwischen 40 und 50 als ein Prozess intensiver Umgestaltung des Selbst, welcher die Neubewertung der zeitlichen Perspektive sowie der Werte und Ziele, die Konfrontation mit Tod als einem in der Zukunft persönlich bevorstehenden Ereignis und die Planung der zweiten Lebenshälfte umfasst«, verstanden. Die Midlife-Crisis wird dabei angesehen als Episode der Auseinandersetzung mit dem ›Noch-Nicht‹ des zu Erreichenden der Zukunft und dem ›Nicht-Mehr‹ des Gewesenen der Vergangenheit« (Csef 1987), in der man sich irgendwo »zwischen maladaptiver oder adaptiver Funktion« (Hermans & Oles 1999) befindet.
Definitionsgemäß war die Midlife Crisis vor allem während ihres »medialen Booms« in den 80er Jahren mit negativen Attributen besetzt und wurde generalisiert verstanden als alle Menschen in der »westlichen Kultur« betreffend. Mit ihr wurden »extreme psychologische Probleme wie emotionaler Aufruhr, Verzweiflung und das Gefühl, nicht mehr zu wissen, wie es weitergehen soll«, verbunden (Kruger 1994). Inzwischen hat sich eine andere Sichtweise durchgesetzt, welche die Einführung eines neuen Begriffs notwendig machte: »Midlife- Transition«. Darunter wird wiederum dieselbe Zeitspanne verstanden, jedoch ohne den »ernsten Distress, der die Krise begleitet« (Herman & Oles 1999). Die Erforschung des Phänomens Midlife- Crisis/-Transition bezog sich häufig nur auf Männer, da Frauen mit dem Klimakterium bereits ein in dieser Lebensphase angesiedeltes Phänomen »besaßen«, dass trotz der physiologischen Erklärung mit dem Defizit an Östrogen auch eine psychische Beeinträchtigung umfasste. Inzwischen - und besonders nachdem die Männer mit dem »Partial Androgene Deficiency Aging Male« (PADAM) Syndrom (syn. Klimakterium virile, Andropause) eigene »Wechseljahre « haben (vgl. hierzu Ludwig 2000), versteht man unter der Midlife Crisis/-Transition eher ganz allgemein die Zeitspanne zwischen 30 und 50, in der die Menschen unabhängig vom Geschlecht, allerdings kulturspezifisch, mit der Suche nach einer Antwort auf veränderte Anforderungen der Umwelt konfrontiert sind.
Wie groß der Leidensdruck ist, der daraus entsteht, ist individuell zu bewerten und hängt vor allem von der persönlichen Lebenssituation ab, sowie von der individuellen Bewertung der notwendigen Veränderungen des Selbst-Konzepts, der psychologischen Reife und der Akzeptanz von Zeitgeschehen und Tod (Oles 1999). Die Midlife-Crisis wird heute nicht mehr als »normative entwicklungsbedingte« (Shek 1996) Erfahrung angesehen und wird altersmäßig auch nicht mehr so eng eingegrenzt. Der Begriff der Midlife-Crisis im engeren Sinne war ein »temporäres Konzept, das seine Bedeutung verloren hat« (Kruger 1994).
Alter und Narzissmus
Lasch (1999) sieht die »irrationale Bedrohung durch Alter und Tod eng verbunden mit der Ausprägung der narzisstischen Persönlichkeit als der häufigsten Charakterstruktur unserer heutigen Gesellschaft«. Der ›narzisstisch gestörte‹ Mensch wird (...) auf ›sich selbst‹ zurückgeworfen (...) , da er seine Grundängste, seine Grenzen und seine Vergänglichkeit (Zeit- und Todesthematik) nicht bewältigt« (Csef 1987). Schon nach Freud ist »der heikelste Punkt des narzisstischen Systems die von der Realität hart bedrängte Unsterblichkeit des Ichs« (Freud 1914), da »Vergänglichkeit, Sterblichkeit und Todesgewissheit die tiefste und archaische Bedrohung für das narzisstische Gleichgewicht darstellen« (Csef 1987). Die narzisstischen Störungen beruhen also auf der Unfähigkeit, den eigenen Tod »ins Leben« zu integrieren: Das Narzissmusproblem ist »aufs engste mit der Verleugnung und Verdrängung des Todes verknüpft« (Csef 1987). Anders formuliert bedeutet das, dass die Verleugnung des Todes und des Fortschreitens der Zeit, verbunden mit der Unfähigkeit zum »gesunden Altern«, Folge ist einer narzisstischen Persönlichkeitsstruktur bzw. narzisstischer Anteile der Persönlichkeit. Dabei stellen die narzisstischen Störungen eine moderne Ausdrucksform des unbewältigten Todesproblems oder der mangelnden ›Integrierung des eigenen Todes‹ dar. Andererseits ist die »Integrierung« des Todes eine »kaum zu vollbringende Aufgabe« (Eissler 1980 nach Csef 1987).
Der Tod als Lebenstatsache
Der »Gedanke an unser eines Tages fälliges Abtreten und an unseren Tod« ist also »absolut unerträglich« und führt zu dem Versuch »das Alter überhaupt abzuschaffen und das Leben unbegrenzt zu verlängern« (Lasch 1999). Gerade in der Anerkennung des Todes wird aber »eine Voraussetzung für die Bewältigung von Verlusten (Objektverlust), Versagungen und der depressiven Position« gesehen (Csef 1987). Aus der Polarität zwischen Beherrschung der oder Kapitulation vor der Zeit ergibt sich die zentrale Aufgabe des »Midlife«: das Bewusstsein für und das Management von Zeit und ihrer Begrenzung sowie der Unvermeidbarkeit des eigenen Todes (Colarusso 1999). Es bedarf einer »Neudefinition des Selbst« mit dem Ziel eines Zustands »postnarzisstischer Liebe des Ego« (Erikson 1950, vgl. hierzu Colarusso 1999).
»Die Auseinandersetzung mit dem Tod erscheint (...) als die Voraussetzung für die Fülle des Lebens, ein Vermeiden derselben als ein ›Sein im Mangel‹ (Wyss 1982). Der Tod als Mitspieler und Gegenspieler des Lebens gibt diesem seine Gestalt. Er befruchtet das Leben, er vernichtet und wirkt gleichzeitig schöpferisch «.
Dem Tod muss »mitten im Leben« Bedeutung verliehen werden (Csef 1987). »Von der Triebtheorie S. Freuds (...) bis hin zur modernen Narzissmustheorie ist der Tod das Zentrum, von dem die Dynamik des Lebens ausgeht« (Csef 1987).
Der »kindische Wunsch, den Lauf der Zeit zu stoppen« (Colarusso 1999) »als Verteidigung gegen die totale Hilflosigkeit angesichts des ›Nichts‹ des Nichtlebens« (Pollock 1971, zitiert nach Colarusso 1999) wird aber gerade von der Vermarktung des Schönheitsphänomens bedient und aufrechterhalten: »Kosmetik beruht auf dem Versprechen der Abschaffung von Zeit« (Fischer 2001). Dieser »Mythos der Zeitlosigkeit« mit der »Negierung von Alterung« (Fischer 2001) widerspricht genau den von Colarusso und Csef dargelegten Konzepten für ein psychisch gesundes Altwerden, bei dem körperliche und seelische Reifungsprozesse in ein zeitgemäßes Selbstbild integriert werden.
Das Dorian-Gray-Syndrom (DGS)
»Die Jugend ist das einzige, was zu besitzen sich lohnt. Sowie ich feststelle, dass ich alt werde, bringe ich mich um« – Oscar Wilde in »Das Bildnis des Dorian Gray«
Das Dorian-Gray-Syndrom (Brosig & Gieler 2000, Brosig et al. 2001) ist charakterisiert durch Symptome der körperdysmorphen Störung und der narzisstischen Persönlichkeitsstörung mit Übergängen zur Perversion im Sinne einer »Fetischisierung« des jugendlichen Körpers (s. dazu Tabelle 1/Abbildung 1). Es ist dabei weniger als Diagnose im herkömmlichen medizinischen Sinne zu verstehen, sondern eher als ein übergreifendes psychodynamisches Konzept. Dabei finden neben der dargestellten Triade auch Aspekte von Hypochondrie, Depression, Zwangsstörungen und Wahnerkrankungen Eingang in die Symptomatologie. Terminologisch geht das Konzept des DGS zurück auf den Protagonisten Dorian Gray in Oscar Wilde’s Roman »Das Bildnis des Dorian Gray« (1890).
Abb. 1: Zum Konzept des Dorian-Gray-Syndroms
KDS = körperdysmorphe Störung, NPS = Narzisstische Persönlichkeitsstörung
DGS = Dorian-Gray-Syndrom
Dorian Gray wünscht sich – besessen vom Wunsch nach ewiger Jugend und Schönheit – dass ein von ihm angefertigtes Porträt an seiner Stelle altern möge. Sein Wunsch geht auf magische Weise in Erfüllung und das ihn zu Beginn in seiner prächtigen Schönheit zeigende Porträt wird durch die Spuren des Alters und seiner Sünden immer feister und verlebter, während er selbst sich Jugend und Schönheit bewahrt. Dorian möchte jedoch angesichts der Spiegelung seines Alterungsprozesses in dem Porträt seine Geschichte rückgängig machen. Er »ersticht« das Porträt als Spiegel seiner Seele und damit sich selbst. Dorians Schicksal endet im Suizid. »Das frühe Entzücken an seiner Schönheit macht allmählich einem Abscheu vor dem eigenen Ich Platz« (Rank 1925 über Dorian Gray, nach Portele 2003).
Die Geschichte des Dorian Gray weckt Assoziationen zur Sage vom Narziss, insbesondere durch die Thematik der »selbstverliebten Spiegelung«, die im Stadium narzisstischer Regression im Suizid endet. Bevor Dorian im Nichts versinkt, tötet er sich selbst. Ebenso wie die körperdysmorphe Störung weist das DGS im Sinne der stereotypen Fixierung auf das eigene äußere Erscheinungsbild und der exzessiven und sinnlosen Beschäftigung mit dem Aussehen sowie den daraus resultierenden Zwangshandlungen wie »mirror-checking« und aufwendige Pflegemaßnahmen einen engen Bezug zur Zwangsstörung auf. Dabei kann die Vorstellung von einem oder mehreren Merkmalen der äußeren Erscheinung oder von dem Erscheinungsbild als ganzem – ebenfalls wie bei der KDS – wahnhafte Züge annehmen, als körperbezogenem- oder auch Beziehungswahn. Wichtiges Unterscheidungsmerkmal zur KDS ist die Tatsache, dass diese als somatoforme Abwehr (im ICD-10 klassifiziert unter »hypochondrische Störung«, im DSM-IV unter »somatoforme Störung«) in kritischen Lebenssituationen gesehen wird, wobei stellvertretend für eine »innere« Problematik - beispielsweise zunächst zur Abwehr einer Depression - eine zwanghafte Fixierung auf einen vermeintlichen oder minimalen Defekt in der äußeren Erscheinung erfolgt, mit den entsprechenden Konsequenzen (sozialer Rückzug, depressive Entwicklung).
Dem DGS wiederum liegt psychodynamisch das »Nicht-reifer-werden-wollen« an sich zugrunde, und zwar als Ausdruck der Angst vor der Vergänglichkeit des narzisstisch geliebten Selbst (letztlich Ausdruck von Todesangst). Die Todesangst ist hier zu verstehen als »Angst vor dem Verlust des Selbst und nicht vor dem Verlust des Lebens« (Portele 2003). Der Tod wird erst durch den Gedanken, sich selbst zu verlieren, unerträglich (vgl. Portele 2003).
Das DGS kann dabei als Abwehr verstanden werden: Die eigene Identität (das Selbst) wird allein über die zeitlose körperliche Attraktivität definiert. Die Vergänglichkeit des Körpers wird stellvertretend für die Abwehr innerer Reifungsprozesse verleugnet. So wird vermieden, sich eine wandlungsfähige und zeitgemäße Identität zu erschaffen. Die Arbeit am Ich besteht lediglich darin, sich seine körperliche Attraktivität zu erhalten. Die persönlichkeitsstrukturierende Reifung, die auch das Durchleben von schmerzhaften Trennungserlebnissen mit depressiven Elementen bedeutet, und das Individuum zudem dem Tode als narzisstischem Nichts unaufhaltsam näher bringt, wird verleugnet. An ihre Stelle tritt ein Kult um den eigenen Körper mit der Sehnsucht, den Strom der Zeit aufzuhalten, der solange es die natürlichen Gegebenheiten zulassen, kompensatorisch wirksam (zunächst psychisch stabilisierend) ist. Dieser Mechanismus ist jedoch brüchig und dekompensiert im Laufe des natürlichen Alterungsprozess des Körpers. Es erfolgt der Verlust der »künstlichen«, allein auf Schönheit und Jugend aufbauenden Identität (als Verlust des Selbst) mit Depression, sozialem Rückzug und narzisstischer Regression bis hin zum Suizid. Die zur phasengerechten Weiterentwicklung notwendige Lösung von der »libidinöse(n) Fixierung des Individuums an ein bestimmtes Entwicklungsstadium des Ich« (Portele 2003) misslingt. »Die Unfähigkeit zur Wandlung, das Ausbleiben von erforderlichen Entwicklungsschritten und Wachstumsprozessen kennzeichnen den Neurotiker. Er verdrängt in seiner Ambivalenz den Tod und ist ihm doch verfallen « (Csef 1987).
Das DGS zeigt in diesem Sinne auch Parallelen zur Psychodynamik der Anorexie. Wie bereits erläutert, kann auch die sogenannte »Midlife-Crisis« als narzisstisch bedrohlich erlebt werden und steht mit dem individuellen Zeiterleben in engem Zusammenhang. Diese Epoche kann aber durchaus auch Stimulus sein für eine neue Wahrnehmung der Kostbarkeit von Zeit und der Neuordnung von Prioritäten (Colarusso 1999). Der wesentliche konzeptuelle Unterschied zwischen DGS und Midlife Crisis besteht darin, dass die Midlife-Crisis – ähnlich wie die Pubertät – ein Entwicklungsprozess ist, der - gebunden an ein definiertes Alter und einhergehend mit körperlichen Veränderungen - einen gewissermaßen »normalen« Abschnitt des menschlichen Lebensweges darstellt. Es bestehen zwar ausgesprochen große inter-individuelle Unterschiede im persönlichen Erleben dieser Zeitspanne (wie auch während der pubertären Entwicklung), jedoch wird sie grundsätzlich von jedem Menschen durchlebt. Die Midlife-Crisis ist prinzipiell eine adäquate Reaktion auf eine notwendige Adaptation an sich verändernde Lebensumstände. Wie krisenhaft diese Episode erlebt wird, hängt vom persönlichen »Coping« ab.
Das DGS fasst den Begriff der Reifungskrise weiter und kann konzeptuell somit auch auf andere Schwellensituationen des Lebens angewendet werden. Bisher existieren noch keine empirischen Daten zur Prävalenz des DGS. Nach einer Schätzung von Brosig (unveröffentlicht) leiden in Deutschland etwa 2,5 - 5 Prozent der Bevölkerung zwischen 25 und 40 am DGS, doppelt so viele Frauen wie Männer. In Kürze werden dazu repräsentative Daten vorliegen. Brosig et al. (2001) schlagen vor, die Therapie eng an die Empfehlungen zur Therapie der körperdysmorphen Störung (vgl. hierzu Harth et al. 2003, Harth & Linse 2001) anzulehnen.
Eine Behandlung mit Lifestyle-Arzneimitteln oder kosmetischen Maßnahmen kann unter Umständen sinnvoll sein, um den Kontakt zum Patienten anzubahnen, sollte jedoch auch ausschließlich mit dieser »Indikation« angewendet werden. Die medikamentöse Behandlung erfolgt, falls die depressive Verstimmung im Vordergrund steht, mit Serotonin-Reuptake-Inhibitoren (SRI) aus der Gruppe der Trizyklika (Clomipramin) oder der selektiven SRI (Fluvoxamin). Bei Auftreten einer wahnhaften Komponente wird zur Optimierung der antidepressiven Therapie zusätzlich das Neuroleptikum Pimozid empfohlen (Brosig et al. 2001). Im Vordergrund steht jedoch die psychotherapeutische Behandlung, die tiefenpsychologische oder auch verhaltenstherapeutische Elemente beinhalten kann. Zunächst ist je nach Schweregrad und Motivation des Patienten ein hochfrequentes oder stationäres Setting vorzuziehen, um einer Chronifizierung der Symptomatik vorzubeugen. Für eine Psychotherapie könnten folgende Ausführungen zur Psychologie des Selbst (nach Portele 2003) Denkanstöße geben:
»Wenn wir die Vergänglichkeit so annehmen, dass wir uns ihrer immer wieder bewusst sind, wenn wir sie also nicht verdrängen, wenn ich mir bewusst bin, dass ich selbst vergänglich bin und mich dauernd verändere, und wenn ich mir immer wieder meiner Sterblichkeit bewusst bin, dann hafte ich weniger an den Dingen und weniger an mir selbst. Und meine Vergänglichkeit mache ich mir bewusst, indem ich meine Veränderung wahrnehme und die Wahrnehmung meiner Veränderungen zulasse. Es geht anfänglich im wesentlichen nur darum, den Blick anders zu fokussieren als wir es normalerweise in unserer Gesellschaft tun, nämlich auf die Vergänglichkeit des Selbst statt auf das stabile, kontinuierliche Selbst. Dann können wir erfahren, dass es kein stabiles Selbst gibt, sondern nur Veränderung und Vergänglichkeit. Da ist nicht etwas, das sich verändert, das Selbst, sondern das Selbst ist Veränderung - Vergänglichkeit. (...) Was nicht mehr da ist, ist das stabile, kontinuierliche Etwas, das ich konstruiert habe und mein Selbst genannt habe. Wenn aber dieses Selbst nicht ist, sondern sich dauernd verändert, also dauernd wird, dann ist der Tod nichts Außergewöhnliches, sondern ein Sich- Verändern, das so ungewöhnlich nicht ist.«
Resumée: Die (Sehn)sucht nach Schönheit und Jugend als ethnische Störung
Im Titel klingt bereits die Hypothese an, der Kult der Spätmoderne um Schönheit und Jugend sei im Sinne einer »ethnischen Störung« ebendieser Kultur zu verstehen, die ja demographisch durch eine Überalterung und somit durch einen Mangel an Jugend charakterisiert ist.
Der Begriff der »ethnischen Störung« entstammt dabei der Denk-Tradition der Ethnopsychoanalyse, wie sie etwa durch G. Devereux vertreten wird. Mit seinen Worten (Devereux 1970) wird das Phänomen der »ethnischen Störung« folgendermaßen definiert: »Jede Kultur gestattet gewissen Phantasien, Trieben und anderen Manifestationen des Psychischen den Zutritt und das Verweilen auf bewusstem Niveau und verlangt, dass andere verdrängt werden. Das ist der Grund, warum allen Mitgliedern ein und derselben Kultur eine gewisse Anzahl unbewusster Konflikte gemeinsam ist.« Daraus ließe sich die Frage ableiten, was denn durch den Schönheits- und Jugendlichkeits- Kult unserer Ethnie verdrängt werde.
Dem Konzept des Dorian-Gray-Syndroms ist die Sehnsucht nach Zeitlosigkeit eingeschrieben, die durch unveränderliche Schönheit, symbolisiert durch das »Einfrieren« des Selbst- Bildnisses Dorian Grays, charakterisiert wird. Demzufolge wäre das Streben nach ewiger Jugend, umgesetzt durch die immer differenzierter werdenden Angebote der Lifestyle- und Anti-Aging-Medizin, ein Versuch, die narzisstischen Kränkungen der Zeit zu konterkarieren. Gleichzeitig ist es aber nicht nur die Wahrnehmung des Alterns, das durch diese Maßnahmen gemildert werden soll. Es wird dabei außerdem der Versuch unternommen, jedes Gefühl für Reife zu vermeiden. In den Interviews mit Patienten wird es dabei oft schwierig zu unterscheiden, ob durch die Symptomatik vor allem die narzisstische Kränkung des Alterns abgewehrt werden soll oder ob durch diese Maßnahmen die Realisierung von Reifungen, Reifungskrisen und Reifeprüfungen vermieden werden soll. Beide Mechanismen erscheinen in komplexer Weise miteinander verbunden, wobei die eine Sichtweise mehr die narzisstische Dynamik unterstreicht, die andere die Fähigkeit zur reifen Objektbeziehung in den Fokus nimmt, die im Dorian-Gray-Syndrom gebremst wird. Insgesamt verbindet das klinischen Modell des Dorian-Gray-Syndromes also differente Dynamiken in einem Konzept.
Es nimmt phänomenologisch Bezug auf bestimmte Symptomkomplexe der Hypochondrie, zu der ja die Dysmorphophobie gehört. Dabei wird gleichzeitig die narzisstische Dynamik mit aufgenommen, die ja meist der Hypochondrie anhaftet. Übersetzt in die Sprache der (triebbesetzten Partial-) Objektbeziehungen wiederum kommt die Psychodynamik der Perversion ins Bild, die ebenfalls bestimmte Grundtatsachen des Lebens (Alter, Generativität, Geschlechtsunterschied) abzuwehren sucht.
So gesehen scheint es unsere Gesellschaft schwer zu haben, sich mit den Grenzen (vgl. Decker 2003 mit seinem Konzept vom »Prothesengott«) abzufinden, die der conditio humana nun einmal inhärent sind: Tod, Generationenunterschied, Geschlechtsdifferenz.
Anmerkungen
1 Oscar Wilde (1890) in: Das Bildnis des Dorian Gray, Stuttgart (Reclam) 1992, S. 40.
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